Wir alle wünschen uns eine lebenswerte Stadt mit weniger Stau, sauberer Luft und mehr Platz für Grün und Begegnung. Die Mobilitätswende ist dafür der Schlüssel – aber sie gelingt nicht im Alleingang. Oft wird über „Pull“-Maßnahmen gesprochen: bessere Radwege, attraktiver ÖPNV, Carsharing-Angebote. Alles wichtig! Aber was passiert, wenn die Nutzung des eigenen Autos weiterhin so bequem und günstig bleibt?
Genau hier kommen die „Push“-Maßnahmen ins Spiel. Sie machen die Nutzung des Autos in bestimmten Situationen weniger attraktiv – sei es durch Parkraumbewirtschaftung, die Reduzierung von Fahrspuren oder die Erhöhung von Parkgebühren. Klingt erstmal ungemütlich? Ist es aber nicht, wenn Pull- und Push-Maßnahmen clever kombiniert werden!
In unserem neuen Blogbeitrag erklären wir, warum diese beiden Seiten einer Medaille sind und wie eine durchdachte Kombination aus beidem Münster auf dem Weg zur Fahrradstadt wirklich voranbringen kann. Wir schauen uns Beispiele an, diskutieren Vor- und Nachteile und laden euch ein, mit uns über die besten Strategien für unsere Stadt zu diskutieren!
Pull-Maßnahmen ziehen Menschen an, die Alternativen zum Auto suchen
Bei der Sinnhaftigkeit von Pull-Maßnahmen stimmt fast das gesamte politische Spektrum überein. Kaum jemand äußert sich über die Mobilitätswende, ohne die Platitüde fallen zu lassen: „Wir müssen die Alternativen zum privaten Auto stärken“. Gemeint sind damit meistens Maßnahmen wie zum Beispiel:
- Ein besseres ÖPNV-Netz
- Sichere und attraktive Radwege
- „Velorouten“
- Carsharing-Angebote
Beispiele aus Münster sind fast alle Fahrradstraßen. Sie sind meist nicht die direktesten Wege, haben aber üblicherweise einen guten Untergrund und sind relativ breit. Sie sind das Material, aus dem sich tolle Marketing-Videos machen lassen. Frischer, roter Asphalt, ein Sonnenuntergang und ein paar sympathische Menschen auf Räder – zack, fertig, so soll Münster gesehen werden.

Wir haben immer mal wieder Fahrradstraßen in Münster getestet, schau‘ gerne mal in unser Archiv.
Die allermeisten Fahrradstraßen ziehen aber nur diejenigen an, die sowieso schon nach einer Alternative zum privaten Auto suchen. Sie sorgen nicht dafür, dass jemand hinter dem Lenkrad das eigene Mobilitätsverhalten überdenkt. Dafür braucht es Push-Maßnahmen.
Push-Maßnahmen drängen Menschen aus Autos heraus
Zu Push-Maßnahmen unterscheidet sich die Einstellung von Personen, die etwas zur Mobilitätswende sagen, erheblich. Oft wird auf mangelnde Alternativen verwiesen, die „erst mal“ vorhanden sein müssten, bevor man Auto-Infrastruktur reduzieren kann. Auf dieses Totschlagargument sollte man nicht reinfallen, es wird seit Jahrzehnten von denjenigen hervorgebracht, die eigentlich keine Mobilitätswende wollen. Und am anderen Ende des politischen Spektrums werden auch Push-Maßnahmen gefordert, ohne im gleichen Schritt Alternativen auszubauen.
Push-Maßnahmen machen die Nutzung des privaten Autos weniger komfortabel. Sie tun weh solange man sich gegen die Veränderung wehrt und noch nicht auf guten Radwegen oder in zuverlässigem ÖPNV sitzt. Beispiele für Push-Maßnahmen sind:
- Abbau von Parkraum
- Sanktionierung von Falschparkenden
- Parkraumbewirtschaftung mit hohen und stetig steigenden Preisen
- Reduktion von Autospuren
- Einführung einer City-Maut
In Münster ist die aktuell noch verzögerte Erhöhung der innerstädtischen Parkgebühren ein Beispiel für eine hoffentlich bald umgesetzte Push-Maßnahme.
Bei Push-Maßnahmen ist es besonders wichtig, auf Zielgruppen zu achten, die sowieso schon benachteiligt sind und für sie -oder noch besser mit ihnen- Ausnahmen mitzudenken.
Das charmante an Push-Maßnahmen ist, dass sie meistens Handlungsspielräume eröffnen. Sie sorgen für höhere Einnahmen bei der Kommune oder geben öffentlichen Raum frei. Beides kann für Pull-Maßnahmen genutzt werden.
Mit rasender Geschwindigkeit gegen den Gegenwind
Das Timing ist entscheidend. Werden Push – oder Pull – Maßnahmen alleine umgesetzt, eröffnen sie den Raum für bekannte Totschlagargumente wie zum Beispiel:
- „Es ist ungerecht, wenn ihr das Parken teurer macht, aber es keine Alternativen gibt“ (Push ohne Pull)
- „Niemand braucht diese Buslinie, sie steht sowieso immer im Stau“ (Pull ohne Push)
Das Ding ist: Die Argumente sind nicht falsch. Menschen mögen Veränderungen nicht und angebliche Verbotspolitik ist in Deutschland besonders unbeliebt. Aus entsprechenden Narrativen lässt sich also leicht politisches Kapital schlagen. Und das passiert in Deutschland bereits seit Jahrzehnten.
Wenn man in Quellen aus den 1990er-Jahren schaut, finden sich Beispiele, die zeigen: klar war schon lange, dass Push & Pull angegangen werden müssen – und die „Erstmal die Alternativen aufbauen“-Bedenkenträger (Pull ohne Push) gab es auch schon immer. Sie haben über Jahrzehnte verhindert, dass das Komfortlevel des privaten Autos sinkt, während bessere Verkehrsarten wie Fuß-, Rad- und öffentlicher Verkehr unter der Zunahme des Autoverkehrs immer mehr leiden.
Die Klimakrise zwingt uns jetzt aber dazu, sehr schnell die Mobilitätswende zu schaffen, anstatt noch länger nur darüber zu reden. Schaffen wir es nicht, wird es für diejenigen am meisten Schmerzen verursachen, die am abhängigsten von fossilen Strukturen wie dem privaten Auto sind. Das Bundesverfassungsgericht hat dafür folgende Worte gefunden:
„Potenziell betroffen ist praktisch jegliche Freiheit, weil heute nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden sind […] und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sein können“
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24. März 2021
Deshalb ist es super wichtig, dass in hoher Geschwindigkeit miteinander in Verbindung stehende Push – & Pull – Maßnahmen so gleichzeitig wie möglich durchgeführt werden.
Und natürlich meckern trotzdem Menschen. Das muss Politik und Verwaltung aushalten, bis die Menschen vor Ort merken, dass es besser ist. Stimmen, die die Veränderung umarmen, muss Gehör verschafft werden. Denn: Erst sind alle dagegen, dann sind alle dafür.
Zusammen sind Push & Pull stark und erfolgreich
Idealerweise werden Push – & Pull – Maßnahmen gleichzeitig umgesetzt. Manche Maßnahmen erreichen sogar beides gleichzeitig. Es sind die klassischen Korrekturen der aktuellen Flächen-Ungerechtigkeiten:
- Umwandlung von Auto-Fahrspuren in Umweltspuren für den ÖPNV & den Radverkehr
- Umwandlung von Auto-Stellplätzen in Fahrrad-Stellplätze
Beides hat Münster schon mehrfach durchgeführt, aber es passiert bisher noch zu selten und zu langsam.
Für die Umwandlung von Auto-Stellplätzen in Fahrrad-Stellplätze gibt es sogar ein eigenes Programm von der Stadt Münster, beauftragt von der Politik. Es heißt etwas anders als wir es hier nennen, aber hey, du weißt, was wir meinen. Du kannst selbst auf einer Karte nachsehen, wo bereits heute Parkplätze umgewandelt wurden und eigene Vorschläge machen. Klicke einfach einen der Buttons:
Dein Parkplatz-Killer für Münster


Wir präsentieren: Total-Murks
Erwähnen wollen wir aber auch noch, dass es leider auch Maßnahmen gibt, die nur gut gemeint sind, am Ende aber der Mobilitätswende entgegen wirken. Wir nennen sie Total-Murks. Aus einer Effizienz-Überlegung heraus attraktivieren sie die Nutzung von Autos und führen am Ende zu mehr Verkehr (siehe auch Rebound-Effekt). Beispiele sind:
- „Intelligente Ampeln“, durch die „alle“ weniger warten müssen. Meist sind mit „allen“ hauptsächlich Kfz-Nutzende gemeint.
- Autonomes Fahren führt zu mehr Verkehr. Ganz davon abgesehen, dass sicheres vollautonomes Fahren auf absehbare Zeit nur in Städten mit geringer Lebensqualität funktionieren wird, werden Leerfahrten durch autonomes Fahren erst möglich. Auch zum Beispiel alkoholisierte Personen können so das Auto nach Haus nutzen anstatt auf die Bahn angewiesen zu sein. Das Ergebnis: mehr Autoverkehr.
- Das Auflösen von Nadelöhren durch zusätzliche Spuren. Auch, wenn Stau unangenehm ist, er zeigt die Kapazitätsgrenzen des heutigen Systems. Wenn wir dafür sorgen, dass es weniger Stau gibt, erhöhen wir die Kapazitäten – das heißt ganz einfach, dass so mehr Auto-Verkehr entsteht.
Verkehr ist nicht wie Wasser, es sind abertausende individuelle Entscheidungen, die sich ändern können, wenn die Bedingungen stimmen.
Was meinst du? Welche Maßnahmen sollten in Münster umgesetzt werden? Schreib‘ es in die Kommentare!
Ich hoffe, dass der Kreisel vor Gievenbeck nicht zur Ampelkreuzung umgebaut wird.
Wenn Autofahrende sich nicht an Verkehrsregeln halten (siehe auch Überholverbot auf der Rüschhauswegbrücke), dann dürfen Zu-Fuß-gehende und Radfahrende nicht ausgebremst werden.