Konfliktfreiheit an Kreuzungen ja – aber nichts gegen Autos tun!

Die Stadt Münster hat jüngst ihren Titel als „Fahrradhauptstadt“ beim ADFC Klimatest (zu Recht) verloren. Nun könnte man meinen, Politik und Verwaltung setzen spätestens jetzt alles daran, die jahrelange Talfahrt zu beenden und endlich echte Radverkehrsförderung zu betreiben, um den Titel möglichst schnell zurück zu gewinnen. Aber Pustekuchen! Im neuesten Vorstoß sollen Konfliktsituationen an Kreuzungen für den Rad- und Fußverkehr sicherer werden. So weit so sinnvoll, wäre da nicht eine kleine Einschränkung: Sicherheit ja, aber auf keinen Fall zu Lasten des motorisierten Verkehrs. Wir haben uns die Vorlage mal angeguckt:

Es ist natürlich grundsätzlich sehr sinnvoll das Konfliktpotential an Kreuzungen für den Rad- und Fußverkehr zu minimieren. Vor allem die Gefahr von Rechtsabbiegenden Autos und LKWs hat in der Vergangenheit zu schweren und tödlichen Unfällen geführt. Es sind gerade mal zwei Wochen seit dem jüngsten Unfall: Der Radfahrer fährt geradeaus und hat grün, der LKW hat auch grün, biegt ab und missachtet die Vorfahrt.

Diese Gefahrenquelle, wenn geradeausfahrender Rad- (und Fuß) verkehr gleichzeitig mit abbiegendem motorisierten Verkehr grün hat, nennt sich bei Ampeln Konfliktschaltung und ist leider immer noch sehr weit verbreitet. Interessant, dass die Stadt selbst inzwischen auch zugibt, dass sämtliche „Hilfsmittel“ diese Situationen zu entschärfen und die sie mit Vorliebe bis dato eingesetzt hat (Ampelspiegel etc.) wirkungslos sind:

…da sich die Alternativen wie Rotmarkierung der Radfurten, gelbe Blinksignale etc. oft nur kurzzeitig bzw. gar nicht bewährt haben.

Beschlussvorlage V/0154/2019

Die Stadt möchte also an verschiedenen Ampeln und Kreuzungssituationen das Gefahrenpotential minimieren und getrennte Grünphasen für Rad- und Fußverkehr schaffen, sodass das Unfallrisiko sinkt. Sie führen dazu auch eine Reihe von Quellen an, die diese These untermauern. Unter anderem wird das Verkehrsministerium des Landes NRW zitiert:

Was wir wollen: Wir befürworten Maßnahmen der Verlangsamung des Kfz-Verkehrs (beispielsweise gesonderte Ampelphasen für abbiegende Fahrzeuge, Vermeidung zügiger Abbieger- und Einbiegerführungen), um Konflikte zwischen Kfz- und dem Fußverkehr zu minimieren.“

Verkehrssicherheitsprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen 2020

Im Zuge dessen wurden eine Vielzahl von Kreuzungssituationen analysiert und eine Liste mit 19 Gefahrenpunkten priorisiert, an denen die Umsetzung der getrennten Ampelphasen beginnen soll.

Bis hier hin scheint der Vorstoß auch sehr sinnvoll zu sein. Schaut man aber ins Detail der Vorlage und vor allem in die konkreten Planungen, stellt man schnell fest, dass das Credo ist: Sicherheit ja, aber wehe es geht zu Lasten der Leistungsfähigkeit des motorisierten Verkehrs!

Sicherheit ja, aber keine Einschränkungen der Leistungsfähigkeit für den Autovekehr!

An 8 von 19 Kreuzungspunkten soll mit der getrennten Ampelschaltung nämlich eine Verkürzung der Grünphasen für den Rad- und Fußverkehr einhergehen, sodass die Leistungsfährigkeit trotz zusätzlicher Ampelphase für den motorisierten Verkehr erhalten bleibt. Das ist schlicht weg ein Affront gegen alle Radfahrenden in Münster. Vor allem an vielbefahrenen Kreuzungen wie an der Hafenstraße/Albersloher Weg oder Ring / Gartenstraße ist eine Reduzierung der Grünphasen ein Rückschritt hin zur noch autogerechteren Stadt. Zumal dies gegen die Empfehlungen des Verkehrsministerums geht, den Kfz-Verkehr zu verlangsamen, stattdessen wird der Radverkehr behindert. Weiteres pikantes Detail: Die Route über den Albersloher Weg / Hafenstraße soll zur Veloroute werden. Abgesehen davon, dass die Umsetzung dieser auch seit Jahren im Verzug ist, steht die derzeitige Planung einer Beschleunigung des Radverkehrs, vor allem auf dieser Achse, diametral entgegen.

Eine Auswahl:

Die Ampelschaltungen in Münster sind für den Rad- und Fußverkehr sowieso jetzt schon an viel zu vielen Stellen benachteiligend. Diese jetzt unter dem Deckmantel der Sicherheit auch noch weiter einzuschränken, während der motorisierte Verkehr ungehindert weiter fahren kann, stößt auf völliges Unverständnis. Zu Recht wird die CDU für diesen Vorstoß vom Koalitionspartner den Grünen kritisiert, es bleibt abzuwarten, ob und wie die Änderungsanträge aussehen. Diese sagt, „das sei das seit Jahren beste Papier, zur Steigerung der Verkehrssicherheit“ (CDU Ratsherr Beitelhoff wird in der WN zitiert). Wenn dem so ist, hat die CDU auch nach wie vor nicht verstanden, wie zukunftsfähige und sinnvolle Verkehrsplanung funktioniert. Und ganz im Sinne des verlorenen Titels der „Fahrradhaupstadt“ scheint die Maxime zu sein: „Ist der Ruf erstmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“. Sicherheit für den Rad- und Fußverkehr scheint es auch in Zukunft nur zu geben, wenn der heiligen Kuh des motorisierten Individualverkehrs keine Einbußen drohen.

Es bleibt eine traurige Randnotiz, dass zur Messung der Verkehrsströme an diesen Kreuzungen offenbar nur singuläre Zahlen eines einzelnen Tages erhoben wurden und dass einige der Maßnahmen Verkehrszahlen zu Grunde legen, die teilweise bis zu 12 Jahre alt sind.

Es wird tatsächlich auch an einigen Stellen das Umlauf-Grün, bekannt aus den Niederlanden, als Vorschlag angebracht und direkt wieder verworfen:

Der Signalisierungsform „Rund um Grün für Fußgänger/Radfahrer“ zur Trennung von den abbiegenden stehen Feindlichkeiten der Radfahrer untereinander entgegen.

Beschlussvorlage V/0154/2019

Und auch hier stellt sich, mal wieder, die Frage: Wieso funktioniert sowas im benachbarten Ausland wunderbar, ist aber für uns in Deutschland nicht denkbar? Zumal an einer der Kreuzungen in Hiltrup genau dieses Procedere seit Jahren funktioniert. Der Grund ist klar: Umlauf-Grün mindert die Leistungsfähigkeit der Kreuzung für den motorisierten Verkehr dramatisch. Das kann in einer Autostadt wie Münster niemand wollen.

Alle Details zur Vorlage und den Planungen findet ihr im Ratsinformationssystem.

Eine Antwort auf „Konfliktfreiheit an Kreuzungen ja – aber nichts gegen Autos tun!“

  1. Fahrradsonntagsredenhauptstadt

    Beim Bürgersymposium „Radverkehr Münster 2025“ hat Oberbürgermeister Lewe die Motivation der Stadt für ihre „Radfahrförderung“ (bitte nicht mit Fahrradförderung verwechseln) gleich zu Anfang genannt:

    „Würden alle Fahrten, die in Münster mit dem Fahrrad erledigt werden, mit dem Auto erledigt werden, so hätten wir jeden Tag einen Stau, der bis nach Bremen reicht.“

    Den gilt es zu verhindern. Wenn das (mal wieder) zu Lasten des Radverkehrs geht – who cares?
    Einmal pro Jahr zu „bunten Fest rund um die Leeze“ einladen, (natürlich mit Tombola und Geschicklichkeitsparcours) und alle habe es wieder vergessen….

    …ach ja, am 25. Mai ist es mal wieder so weit; man feiert sich:
    https://www.stadt-muenster.de/verkehrsplanung/leezenliebe.html

    Für den Rest des Jahres reicht:
    „Münster- bedingt radverkehrsbereit“

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