Ausgangspunkt für unseren Beitrag zu diesem Thema ist der am vergangenen Wochenende erschienene Artikel der Wiedertäufer über legalisiertes Gehwegparken in Münster. Kurz zusammengefasst geht es darum, dass in Münster das (eigentlich verbotene) Gehwegparken durch eine Dienstanweisung des Ordnungsamts toleriert wird. Hierfür wird das sog. Opportunitätsprinzip angewendet. Komplett bei den Wiedertäufern hier zum nachlesen.
Nach Aussage von Hendrik Weihermann, Fachstellenleiter des städtischen Service- und Ordnungsdienstes, wird das Gehwegparken außerhalb des Promenadenrings überall dort toleriert, wo eine Restbreite auf dem Gehweg von 1 m nicht unterschritten wird. Diese Regelung gelte so schon seit fast 20 Jahren und würde, so Weihermann, bei einer Abschaffung zu großen Problemen führen, da der Parkdruck enorm hoch sei.
Was allerdings bei dieser Rechnung scheinbar außer Acht gelassen wird ist, dass diese Regelung heute schon viele Menschen vor Probleme stellt, nämlich alle die gerade keinen Parkplatz suchen, und darüber hinaus in den letzten Jahren komplett aus dem Ruder gelaufen zu sein scheint.
Betrachtet man die Entwicklung dieser letzten 20 Jahre, so lässt sich allein anhand von Zahlen belegen, wie sehr sich das „Parkdruck“-Problem verschärft hat: Die Stadt ist gewachsen, es leben knapp 45.000 Menschen mehr in Münster, die Zulassungszahlen von Pkw steigen, die Autos werden zudem immer größer und breiter. SUV haben inzwischen den höchsten Marktanteil und sind auch auf unseren Straßen immer häufiger anzutreffen. Gleichzeitig bleibt der verfügbare Straßenraum hingegen gleich. Das Konzept des geduldeten und kostenlosen (!) Gehwegparkens in einzelnen Bereichen, welches unter damaligen Rahmenbedingungen noch funktioniert haben mag, ist längst zu einem flächendeckenden und legalisierten Park-doch-wo-du-willst geworden. Mit dem Broken-Window-Effekt sind nach und nach die Gehwege ganzer Straßenzüge und Viertel durch das Gewohnheitsrecht zu scheinbar regulären Parkplätzen geworden, bei denen auch niemand mehr nachmisst, ob die 1 m Restbreite noch gewährleistet ist.
Wer hat den Schaden?
Kinder bis zum 8. Lebensjahr müssen mit dem Rad auf dem Gehweg fahren, werden aber häufig durch Gehwegparker für die auf der Straße radelnden Eltern und den sonstigen Verkehr unsichtbar. Vor allem wenn diese dann in Kreuzungsbereichen „plötzlich“ auftauchen, kommt es zu brenzlichen Situationen. Schlimmer wird es nur noch, wenn sogar die Kreuzungsbereiche (s. Bild) auch kurzerhand zur Parkfläche werden. Nicht nur problematisch, sondern ebenfalls gefährlich wird es da, wo so wenig Platz bleibt, dass Fußgänger gezwungen sind auf den Radweg oder die Straße auszuweichen. Wer einen Kinderwagen schiebt oder auf Rollstuhl und Rollator angewiesen ist, gerät in Konflikte mit Radfahrern und Autos. Weiteres Gefahrenpotential entsteht durch das unachtsame Öffnen von Autotüren, die nicht selten über den gesamten Radweg reichen, wenn rechts davon auf dem Gehweg geparkt wird. Nach Aussage Weihermanns, gelte diese Regelung nicht in der Nähe von Altenheimen und Schulen und geparkte Autos dürften keine Behinderung darstellen. Die Tatsache, dass beides nicht der Realität entspricht, müssen täglich tausende Verkehrsteilnehmer hinnnehmen. Das unten stehende Bild beispielsweise zeigt die Situation direkt gegenüber der Erna-de-Fries Schule an der Hammer Straße.
Die häufigen Argumente wie „da ist doch noch Platz“ oder „da passt man doch noch durch“ mögen zwar rechnerisch stimmen, berücksichtigen aber keinesfalls die oben genannten Gefahren und Risiken. Gleiches gilt auch für das, offensichtlich ebenfalls geduldete, Parken auf Radwegen, welches vor allem Lieferdienste und Paketzusteller betrifft. Es wird offensichtlich, dass hier von Flächengerechtigkeit oder Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer keine Rede mehr sein kann. Die Vorzugsbehandlung des ruhenden Kfz-Verkehrs geht zu Lasten von Radfahrenden, Fußgängern, Kindern, Senioren und Menschen mit Behinderung.
Ganz davon abgesehen, dass Geh- und Radwegflächen von Grund auf nicht darauf ausgelegt sind, dass dauerhaft schwere Autos auf ihnen stehen und fahren. Die Folge sind massive Schäden an der Infrastruktur, welche Wiederum Komfort- und Sicherheitseinbußen bei den schwächeren Verkehrsteilnehmern zur Folge haben.
Wie dem Parkdruck begegnen?
Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass keine Bürgerin und kein Bürger ein Recht auf (kostenloses) parken direkt vor der Haustür im öffentlichen Raum in Anspruch nehmen kann und darf. Durch die flächendeckende Duldung ist allerdings genau dieses im Bewusstsein vieler Menschen angekommen. In einer wachsenden Stadt wird das Problem in Zukunft noch viel gravierender werden, als es jetzt schon ist. Nebenbei sorgt auch ein immer mehr zunehmender Parksuchverkehr, auch in den Wohnvierteln, zu erhöhten Abgas- und Lärmbelästigungen.
Es müssen deshalb Lösungen gefunden werden, die in letzter Konsequenz nur eins bedeuten können: der weitestgehende Verzicht auf das eigene Auto in der Stadt, zumindest in den am stärksten betroffenen Vierteln. Diese Forderung kann aber selbstverständlich nur funktionieren, wenn die Alternativen wie Carsharing, Fahrradinfrastruktur (sowohl zum Fahren als auch zum Parken) sowie der ÖPNV so gut ausgebaut sind, dass ein autofreies Leben ohne Komforteinbußen möglich ist. Da bis dahin noch einiges an Wasser die Aa runterfließen wird, bleibt für die akute Beseitigung der Gefahren nur eine konsequente und strikte Überwachung des Gehwegparkens. Vor allem beim Einhalten der Restbreiten, wobei 1 Meter auch noch zu wenig ist, muss sich etwas tun. Im Zweifel muss hier auch gegen das Gewohnheitsrecht der Anwohner und für die Verkehrssicherheit aller gehandelt werden. Denn es ist nicht so, wie Herr Weihermann sagt, dass ein Verbot des Gehwegparkens ein Problem werden könnte. Vielmehr bewirkt die Duldung dessen ein Kaschieren des wirklichen Problems: Wir haben zu viele Autos in der Stadt.
Die Stadt kann die Attraktivität des Carsharings sehr schnell und einfach erhöhen: in Absprache mit dem Carsharing-Anbieter können reservierte Stellplätze eingerichtet werden, das kostet die Stadt fast kein Geld. Wenn man von den Autos, die ohnehin ersetzt werden müssen, nur die am wenigsten genutzten 10% durch Carsharing statt einen anderen Privatwagen ersetzt, kann man die Autozahl in nennenswerter Geschwindigkeit reduzieren.
Da Carsharing-Nutzer durch die geringen Fixkosten bei jeder Nutzungsentscheidung die faire Wahl haben, reduziert sich bei den meisten die Autonutzung weiter.
Dass man auch in Deutschland auf über zwei Carsharing-Autos pro 1000 Einwohner kommen kann, belegt Karlsruhe, damit dürfte für Münster noch deutliches Potential sein.
Selbstverständlich! Die Lösungen sind ja alle da, wenn man mal über den Tellerrand blickt. Das Problem: Es muss politisch gewollt sein…